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Grunge und die Folgen
Superfuzz. Irgendwie geht es Ende der 80er Jahre im Nordwesten der USA immer wieder um Superfuzz. Übersetzt kann das "Superfusel", "superzerfasern" oder auch "Super-Trübe" bedeuten. Und bezeichnet gleichzeitig ein Pedal, das eine Gitarre nach in Watte gewickeltem Mofa klingen lässt. Superfuzz Bigmuff heißt eine trashig-poppige Punkrock-LP von Mudhoney , die 1989 auf dem in Seattle ansässigen Indie-Label Sub Pop erscheint und vom Superfuzz-Effekt ausgiebig Gebrauch macht.
Der Sound von Sub Pop ist bei weitem nicht so homogen, wie die diversen Schulen des US-amerikanischen Hardcore noch ein paar Jahre früher klangen. Doch tauchen bestimmte Bezugspunkte bei Bands wie Tad, Soundgarden und eben Mudhoney immer wieder auf. Das schwere Riff von Black Sabbath , die zermarternde Auto-Agression der Stooges und der Songwriter-Rock eines Neil Young zählt zum Sozialisationsinventar dieser Bands aus Seattle. Überraschenderweise gelingt ihnen der Brückenschlag zwischen den Seventies-Kontrahenten Hardrock und Punk.
Auch einigen Platten von der Westcoast hört man diese akustischen Anhaltspunkte an. So wird in Fanzine-Kreisen bald das Adjektiv "grungy", also "schmuddelig" und "trübe", auch an Bands wie die Screaming Trees vergeben. Sie bringen 1989 auf dem Post Punk-Label SST mit Buzz Factory eine unnachahmliche Platte zwischen psychedelischem Superfuzz-Rock und Folk-mäßigem Gesang raus.
Auch als Nirvana im gleichen Jahr Bleach auf Sub Pop heraus bringen, reden eher Schwarz-Weiß-Magazine wie das deutschsprachige GOARRR! darüber. Erst mit der zweiten Platte ändert sich das. Dann aber richtig.
Nevermind hat mit Geffen Records ein großes Industrie-Netzwerk hinter sich. Smells Like Teen Spirit heißt die Single, die nach massivem Powerplay der College Radios mit einem Schlag in die Heavy Rotation von MTV gelangt. Ein absoluter Smash Hit wird draus, und so findet sich die tief im Underground verwurzelte Band aus Aberdeen, Washington State bald in Kreisen von Michael Jackson und Madonna wieder.
Nun werden die Verkaufsmöglichkeiten des Authentischen entdeckt. Pearl Jam und Soundgarden laufen im Musikfernsehen und verkaufen sich ebenso millionenfach wie Nirvana . Grunge wird zu einem Bündel voller Lebensaspekten geschnürt. Mit dem Slacker gibt es den desillusionierten, zynischen Grunge-Typen. Matt Dillon spielt ihn im Grunge-Film "Singles". Posthum wird Douglas Couplands Roman "Generation X" dank seiner Ästhetik der Abwesenheit zum Grunge-Roman erkärt. Schrift-Designer entwickeln das "Grunge"-Fonds und die Haute Couture widmet dem Stil der Straßen ganze Kollektionen aus fettigen Haaren, Flanellhemden und zerissenen Jeans. Die Revolte wird direkt aufgespürt, in den Einkaufszentren ausgelegt und damit blitzartig neutralisiert.
Courtney Love gelingt es mit ihrer Band Hole , in dieses kräftig männerzentrierte System mit grandiosen Songs einzubrechen. Nach der Heirat mit Kurt Cobain müssen beide unausweichlich das Königspaar des neu entdeckten Marktsegments spielen. Cobain verschleißt sich schnell zwischen Indie-Ethos und CNN-Interesse. Bereits drei Jahre nach Nevermind jagt er sich eine Ladung Schrot in den Schädel.
Seit diesen frühen 90er Jahren besteht der sogenannte Musikmarkt nur noch aus "Segmenten", und aus jedem dieser Minderheiten-Sounds kann die nächste Nummer Eins entstehen. Spätestens nach dem Selbstmord Cobains findet man auch die musikalische Grunge-Formel. Die Gitarren müssen schmuddelig verzerren, die Texte müssen ins Innere blicken bei möglichst hoher "I ask..."-Anzahl. Noch zu Nirvana-Zeiten schaffen die Stone Temple Pilots großartige Verkäufe mit dieser Taktik. Danach kommen Wunder-Teenies wie Silverchair und Alternative Rocker wie Bush damit an. Eddie Vedder-artiges Wehklagen hört man noch heute im Nu Metal. Nur sind die Superfusel in dieser Musik längst weg, und statt Watte-Mofas gibt’s längst Limousinen.